Freitag, 7. März 2014

Gebt den Narren eine Bühne! Oder: Von der Macht des Diskurses

Herrlich finde ich das! Sarrazin, Matussek, Lewitscharoff: medienwirksamer Verbaldurchfall an allen Ecken. Und die Leute? Reden darüber, ereifern sich, tadeln, argumentieren, toben, teilen. Ich sage: Jawolli, mehr von dem Dünnpfiff!

Für mich bedeutet Meinungsfreiheit, dass jeder in die Medienarena werfen darf, was er für richtig hält und sei die Kacke noch so gequirlt. Denn, und darauf dürfen wir in Deutschland verdammt stolz sein, das System reinigt sich sozusagen selbst. Es verfügt über hervorragende Abwehrkräfte und spuckt notfalls Arschlöchern, Fundis und in der Steinzeit Zurückgebliebenen ihren Dreck zurück ins Gesicht. Ist das nicht fantastisch?

Ich möchte es einmal so formulieren: Solange beknackte Ansichten ausgedrückt werden dürfen, werden sie diskutiert und damit kontrolliert. Dass Homophobie extrem dämlich ist, weiß ich nur deshalb, weil es homophobe Menschen gibt, die homophoben Blödsinn von sich geben und weil es Medien gibt, in denen eine Vielzahl von Menschen den homophoben Blödsinn als solchen entlarven und aufs Schärfste kritisieren. Gebt den Narren ruhig ihre Bühne, es schadet uns nicht. Im Gegenteil: Verstörende Meinungen, Affronts und Fauxpas tun uns gut! Sie befeuern den öffentlichen Diskurs, der über eine ungeheure Macht verfügt und in einem stetigen Prozess Einfluss auf das nimmt, was eine Kultur als ihre Werte hervorbringt.

Ich plädiere nicht für den Erhalt von Homophobie oder Rassismus. Ich plädiere für Meinungsfreiheit im Rahmen geltender Gesetze und Normen. Wird das Äußern bestimmter Meinungen verboten, hält es die Menschen nicht davon ab, sie zu vertreten. Wir haben viel bessere Waffen: Kaum etwas hat so verstörende und kathartische Wirkung wie eine öffentliche Bloßstellung, wie der Gegenwind der ganzen Nation. Um eine Meinung ändern zu können, muss ich sie frei äußern dürfen. In einer Mediendemokratie, sofern wir leidenschaftlich debattieren, sterben beknackte Ansichten ganz von alleine aus. Auch wenn's lange dauert.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Wi(e)der die Moralkeule

"Die Kunst, auch die schlechte, ist frei", titelt Alexandra Kedves im Tagesanzeiger, und trifft damit in der Rassismus-Debatte, die seit einiger Zeit in der Kulturbranche, vornehmlich der Theaterszene, tobt, den Nagel auf den Kopf. Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob schwarz angemalte Schauspieler auf unseren Bühnen rassistisch sind. Was von der einen Seite als simples Theatermittel betrachtet wird, wertet die andere Seite als unübersehbaren Bezug auf die eindeutig rassistisch motivierten Minstrel Shows im Amerika des 19. Jahrhunderts.

Ich tue mich schwer damit, den bloßen Einsatz von Theaterschminke als rassistischen Akt zu bewerten. Doch kann ich als blonde Mitteleuropäerin, in Berlin lebend, überhaupt beurteilen, was Rassismus ist? Vermutlich nicht. Aber als Kulturwissenschaftlerin kann und muss ich die Kultur verteidigen, wenn wieder einmal medienwirksam die Moralkeule geschwungen wird.

Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, sagte kürzlich im Interview mit dem Tip: "Es gibt eine Zensur des moralisierenden Mainstreams, die gerade immer stärker wird und die gefährlich für die Freiheit der Kunst ist." Einer wie Castorf traut sich das. Schicker wäre es vermutlich ins Horn derer zu blasen, die empört nach einer Strafnorm rufen. Kritik ist gut und wichtig. Klug geführte Debatten ebenfalls. Der Kunst den strafrechtlichen Maulkorb anzulegen wäre hingegen fatal.

Völlig zurecht weist Alexandra Kedves auf die im Artikel 5 des Grundgesetzes verankerte Meinungsäußerungs-, Presse- und Kunst-Freiheit hin. Grenzen findet diese Norm dort, wo die Persönlichkeitsrechte Dritter verletzt werden. In dieser Art ist sie eine der stärksten und klügsten Normen, die unsere Verfassung kennt. Persönlichkeitsrechte jedoch können nur persönlich geltend gemacht werden. Nur dort, wo eine Person in ihren Rechten massiv eingeschränkt wird, dürfen wir die Kunst, eine der stärksten Waffen der Demokratie, vorsichtig beschneiden. Alles andere ist Zensur.

Konflikte wie diese sind nicht durch eine Strafnorm zu lösen, sondern einzig und allein im öffentlichen Diskurs. So verhält es sich unter anderem mit der NPD. Ein Verbot würde zu mehr Gegenwehr führen, zu mehr Interesse und Trotz. Unsere Verfassung jedoch ist stark genug, sich gegen Angriffe von innen zu wehren. Ein Verbot von unangenehmen Meinungen, und seien sie in den Augen einer Mehrheit noch so verwerflich, falsch oder hanebüchen, führt unser Grundgesetz ad absurdum.

Für diesen öffentlichen Diskurs ist kaum ein Ort so geeignet, wie das Theater. Tobias Becker bringt dies in seinem Artikel über verschiedene NSU-Theaterstücke auf den Punkt: "Nach den NSU-Morden verlangt die Gesellschaft nach Gerechtigkeit. Dafür ist das Gericht zuständig. Aber die Gesellschaft verlangt auch nach Erklärungen. Die kann das Gericht vermutlich nicht liefern – Beate Zschäpe schweigt  und der Journalismus kann es auch nicht. Das Theater kann. Vielleicht. Denn das Theater kann psychologisieren, kann spekulieren, kann fiktionalisieren. Es kann in der Fiktion der Realität auf die Schliche kommen."

Die Literatur kennt den Unterschied zwischen Autor und Erzähler. Was der Erzähler oder eine andere Romanfigur denkt, fühlt, sagt oder tut muss mitnichten zwingend der Einstellung des Autors entsprechen. Gleiches muss für Dramatiker und Regisseure gelten. Sie brauchen Mittel zum Ausdruck. Sie brauchen Freiheit.

Mittwoch, 15. Januar 2014

Jede Bühne ist eine ganze Welt

Dies ist ein Beitrag zur Blogparade, zu der das Theater Heilbronn aufgerufen hat.

"All the world's a stage", lautet eine vielzitierte Passage aus Shakespeares "Wie es euch gefällt". Die Welt also ist Schauplatz für die zahlreichen Stücke, die wir Leben nennen. Wir selbst sind Schauspieler und sind uns mehr oder minder über unsere Rollen und unser Publikum bewusst. Viel Wahrheit liegt in dieser Idee.

"Every stage's a world", könnte man auch sagen und es liegt genauso viel Wahrheit darin. Für mich ist es der Grund weshalb ich Theater liebe. Ich genieße die Vorfreude, wenn der Saal noch beleuchtet ist und die vielen Stimmen in den Rängen sich in einem freudigen Lärmen überschlagen. Ich schmunzele, wenn die plötzliche Dunkelheit zu Beginn des Stücks das Lärmen erstickt oder wenn bei jedem Black die krampfhaft zurückgehaltenen Huster ihren Weg nach draußen finden. Schon diese Momente bilden eine ganze Welt ab. Sie zeigen mir, mit wem ich lebe, wer mag, was auch ich mag und wer mit mir gemeinsam die Welt Theater betritt. Gemeinschaftlich begeben wir uns auf eine Reise, erwarten mit Spannung das Geschehen auf der Bühne. Wird es uns gefallen?

Ein jedes Theaterstück eröffnet mir fremde Welten, selbst wenn es meine eigenen sind. Theaterstücke vollbringen das Kunststück, Identifikation und Distanz zugleich zu bieten. Im Theater, da wird uns ein Spiegel vorgehalten, ohne dass wir beleidigt sind, die Augen geöffnet, ohne dass wir uns schämen müssen. Das Theater legt den Finger in die Wunde, ohne dass es weh tut. Ein kleines bisschen höchstens, innen drin. Wir können um die Welt und durch die Zeit reisen und bleiben doch in der selben Stadt, dürfen ungeniert durchs Schlüsselloch unserer Nachbarn blicken, ohne Furcht ertappt zu werden.

Vor nicht allzu langer Zeit sah ich Marianna Salzmanns "Muttersprache Mameloschn" im Deutschen Theater Berlin. Kein anderes Stück hat mich zuvor und seitdem so nachhaltig beeindruckt. Ich habe die Liebe, die in Text und Inszenierung steckt, förmlich spüren können, habe selten so viel sprachlichen Witz erlebt, gnadenlos und doch sensibel zugleich. Ich vergaß die Welt um mich herum und gab mich vollends der Welt der drei Frauen vor meinen Augen hin. Drei Frauen, drei Generationen und drei Welten, wie sie doch näher einander nicht sein können und doch soweit entfernt.

In den Mutter-Tochter-Konflikten entdeckte ich eigene Welten und spürte echte Emotionen, obwohl das da vor mir doch "nur" Theater war. An nur einem Abend gelang es, mir das Thema Antisemitismus näher zu bringen, als zahlreiche Schulstunden es konnten, zumal über drei Generationen erzählt und nicht, wie allzu häufig, auf das sog. Dritte Reich reduziert, als sei es das einzige Unrecht.

Jede Bühne ist eine ganze Welt. Mir fiele kein Grund ein, nicht ins Theater zu gehen.

Samstag, 11. Januar 2014

Von Büchern und Würsten

Ich hasse Anfänge.
Außer die eines Buches oder einer guten Wurst. Wobei, das mit der Wurst, das wollte ich ja eigentlich reduzieren. Flexitarier sozusagen. Klappt auch ganz gut. Außerdem mache ich mir (frei nach Wolfgang Neuss) ohnehin gern Gedanken statt Abendbrot und da macht man eh keine Wurst drauf.
Einen Blog also. Und noch dazu am Anfang. Schrecklich.
Aber das mit dem Schreiben, das ist sozusagen mein Ding. Das mit den Gedanken sowieso. Mache ich mir täglich. Sozusagen schon zum Frühstück und mittags auch und zwischendurch nasche ich gerne. Gedanken aufschreiben könnte also ganz gut klappen. Müsste allerdings an der Ausformulierung noch arbeiten, klingt irgendwie nach Twitter. Mache ich jetzt ja auch. Nach Monaten des passiven Dabeiseins aber irgendwie auch nicht habe ich heute den ersten Tweet meines Lebens abgegeben. Und jetzt also auch bloggen. Man könnte sagen, die Kommunikationskanäle des 21. Jahrhunderts sind dann auch mal bei mir angekommen. Könnte sein, dass ich mich mal beruflich zwischen Medien und Kultur aufhalten möchte, also sollte ich da wohl langsam mal mitmachen. Bevor der Zug abfährt.
Habe auch schon eine Strategie. Sie heißt: Sachen machen.
Dann mal los.